Seit einigen Tagen nehmen bundesweit Aktionen aus dem Spektrum der Querdenken-Gruppen zum Thema Kinder, Jugendliche und Maskenpflicht zu. An einer Waldorfschule nahe Göppingen wurden eine Art Grab am Eingang einer Waldorfschule mit unterschiedlichen Botschaften eingerichtet und an mehreren Schulen störten Personen aus dem Querdenken-Umfeld den Unterricht.
Diese Woche kam es auch zu Aktionen an Ulmer Schulen.
AfD-Gemeinderat mit Vergangenheit als bewaffneter Neonazi verteilt Propaganda an Schulen
In den letzten Tagen verteilte der Gemeinderat Markus Mössle im Umfeld von mehreren Schulen Flyer mit Falschbehauptungen über die Ansteckungsgefahr von Corona bei Kindern. Auf seinen Flyern behauptet er, dass Kinder nicht an Covid-19 erkranken würden und auch keine Ansteckungsgefahr von ihnen ausginge. Diese Aussagen sind gefährlich und falsch. Darüber wie sich Covid-19 bei Kindern verhält, gibt es unterschiedliche Äußerungen, da die Forschung auch dort erst in den Anfängen ist.
Doch zu behaupten, es gäbe gar keine Erkrankungen bzw. Ansteckungsgefahr bei Kindern ist schlichtweg falsch. Anfang dieser Woche meldete das RKI erst, dass die Altersgruppe 5 bis 16-Jährige aktuell die drittmeisten Fälle hätte. (RKI Tagesbericht vom 20.10.20)
Nach bisherigen Erkenntnissen besuchte Markus Mössle das Friedrich-List-Schule, am Schubart-Gymnasium, an der Spitalhof-Gemeinschaftsschule, die Straßenbahn-Haltestelle vor dem Kepler-Gymnasium und die alte Waldorfschule. Die SWP berichtete, dass das Schubart Gymnasium Mössle vom Gelände verwiesen hätte.
Mössle war in den 1980er Jahren aktiver Neonazi in mehreren mittlerweile verbotenen Strukturen und beging bewaffnete Überfälle um Geld für Neonazistrukturen zu erbeuten.
Einen ausführlichen Artikel über seine Vergangenheit haben wir in unserer Chronik 2019 veröffentlicht.
Mahnwache vor Waldorfschule
Am Freitag, 23.10.20, versammelten sich um 11.00 Uhr Eltern der Freien Waldorfschule in der Römerstraße mit ungefähr 20 Teilnehmenden. Organisiert wurde dies über Telegramgruppen. Auch in der Ulmer Coronarebellen-Gruppe wurde die Mahnwache angekündigt und beworben von einer Nicole S., die seit Monaten in der Coronarebellen-Gruppe aktiv ist und ebenfalls in der Querdenken731-Telegramgruppe Mitglied ist. Im Coronarebellen-Kanal teilte Nicole S. ein Video mit dem Titel “Amtsgericht bestätigt BRD Kein Staat”.
Die SWP berichtete über die Situation in der Schule und die Reaktion der Schulleitung. Um 9.30 Uhr wurde der Unterricht beendet, um die Schüler:innen nicht mit dieser Mahnwache zu konfrontieren.
Bereits im Juni fielen die Ulmer Waldorfschulen durch ein Flugblatt eines Lehrers in dem Verschwörungsmythen aufgegriffen wurden auf. Im Flugblatt wurde behauptet, dass Bill Gates die WHO aufgekauft habe und einen globalen Impfzwang durchsetzen wolle.
Das solche Vorfälle sich an Waldorfschulen häufen ist auffällig und sicherlich kein Zufall. Einen kritischen Blick auf die ideologischen Hintergründe von Waldorfschulen wirft Oliver Rautenberg auf seinem Blog.
Das sagen Schüler:innen der Schule dazu
Schüler:innen vor Ort positionierten sich klar gegen die Mahnwache. Ihnen war es wichtig zu betonen, dass bei weitem nicht alle Eltern und Schüler:innen diese Mahnwache unterstützen würden. Sie haben bereits genug mit Klischees über Waldorfschulen zu tun und wollen nicht als Pandemieleugner:innen dastehen.
Aus ihrer Perspektive nehmen die protestierenden Eltern keine Rücksicht auf ihre Bedürfnisse. Sie wollen zur Schule gehen und ihre Abschlüsse machen und befürchten, dass Proteste gegen Masken und andere Maßnahmen langfristig dazu führen, dass Schulen wieder geschlossen werden. Außerdem kritisierten die Schüler:innen, dass an der Mahnwache sehr junge Kinder teilnahmen. Wie auch bei den Querdenken-Protesten in Ulm, werden Kinder so instrumentalisiert.
Die Teilnehmenden der Mahnwache seien laut ihnen vor allem Eltern von jüngeren Waldorfschüler:innen.
Es sollen sich auch mehrere Lehrer:innen zur Mahnwache gestellt haben – ob sie die Mahnwache unterstützen oder nur mit den Teilnehmenden sprachen ist unklar.
Zusammenhang
Bei der Mahnwache an der Freien Waldorfschule war Markus Mössle nicht beteiligt. Es waren auch keine anderen bekannten Gesichter der rechten Szene in Ulm zu sehen. Die Mahnwache und die Teilnehmenden lassen sich nicht pauschal als rechts einstufen.
Doch teilen sie die gleichen Inhalte, wie auch Markus Mössle und andere rechte Akteur:innen und ihre Mahnwache wurde in einschlägigen Telegram Gruppen bewoben.
Solche Aktionen zeigen die Gefährlichkeit der aktuellen Proteste gegen Maßnahmen. Unterschiedlichste Personen und Gruppen von christlich fundamentalistischen Sekten , Anhänger:innenn von verschiedenen Verschwörungserzählungen bis hin zu extrem rechten Gruppen versuchen inhaltlich an Sorgen und Ängste von Menschen anzudocken und sie so zu rekrutieren.
Querdenken schafft einen Nährboden für Radikalisierung und Rekrutierung.
Dies geschieht zum einen durch wenig glaubhafte Distanzierung von rechtem Gedankengut und Verschwörungsmythen. Während sie zugleich mit Personen, die eben dieses vertreten, kooperieren.
Zum anderen geschieht dies durch die Vermittlung eines quasi religiösem schwarz-weißem Weltbild: „Wir die guten Erwachten gegen die bösen Mächte. Dazwischen gibts nur die unaufgewachten“ und der Ablehnung jeglicher kritischer Berichterstattung von außerhalb.
Alle Informationen kommen von den wenigen, meist männlich und über 40-jährigen führenden Redner:innen und Streamer:innen, die mit inhaltsleeren Forderungen wie „Freiheit“ oder „Wahrheit“ um sich werfen.
Wenn man ihren Reden zuhört, bemerkt man, dass es schon lange nicht mehr nur um Maßnahmen geht. Vielmehr geht es um Themen wie Absetzung der Regierung, Bekämpfung einer angeblichen gerade existierenden Diktatur und der Forderung eines Friedensvertrages. Aspekte, die aus dem Spektrum der Reichsbürger:innen und Selbstverwalter:innen stammen.