Gestern am 09.11.20 fand erneut eine Kundgebung auf dem Münsterplatz mit anschließender von Querdenken 731 statt. Es gab mehrere Redebeiträge darunter auch spontane. Es wurde angekündigt von nun an jeden Montag zu laufen. Besonders auffallend war, wie letzte Woche bereits, ein Redebeitrag von Dr. Daniel Langhans.
Höhere Teilnahme, mehr Redebeiträge
Im Vergleich zu letzter Woche nahmen mehr Menschen teil. Es gab eine zweistellige Zahl an Redebeiträge. Es ging um einzelne Erfahrungsberichte und/oder kurze Meinungsäußerungen. Es ging wenig um konkrete Maßnahmenkritik, diese werden eher in Nebensätzen diskreditiert. So gab ein Redner von sich, über Masken brauche man gar nicht mehr Reden, es ist ja seit Monaten klar dass die nichts bringen. Redebeiträge wurden zum Teil mit „Hallo ihr Aufgewachten“ begonnen und es gibt viele Appelle mutig zu bleiben und weiterzumachen. Mehrmals wurde auch an das Wohl von Kindern appeliert
Unter den Teilnehmenden befanden sich unserem Eindruck nach diesmal keine uns bekannten Mitglieder der Identitären Bewegung Schwaben, der AfD Ulm oder der SSV Hooligans.
Ein Erfahrungsbericht von der bundesweiten Demonstration in Leipzig am 07.11 stellte das Geschehen als friedlich dar, die Darstellung in den Medien wäre einseitig. Dabei waren auf der Kundgebung in Leipzig mehrere hundert, teils vermummte extreme rechte Gruppen und Hooligans. Diese griffen kurz nach Auflösung der Kundgebung die Polizei an. Deutlich wird dies in vielen Medienberichten, Videos und Fotos. Hier eine Auswahl der Bilder von Recherche-Nord:
Ihnen folgten viele weitere Teilnehmende der Querdenken Kundgebung. Es wurden Polizeiketten durchbrochen, was zu einer nicht angemeldeten Demonstration über den Leipziger Ring führte.
Narrative auf Dauerschleife
In Ulm wurde gestern oft darüber gesprochen, dass man sich nicht spalten lassen solle. Ein Redner lobte Biden, da dieser sich auch gegen eine Spaltung (der Gesellschaft der USA) ausgesprochen hatte. Darauf reagierten mehrere Teilnehmende mit lauten Bu-Rufen.
Das Narrativ des sich Nicht-spalten-lassen-wollens war auch Thema von mehreren weiteren Beiträgen. Es zieht sich bereits seit Monaten durch die Redebeiträge, Facebook- und Telegramgruppen um Querdenken. Gemeint ist damit, dass das Querdenken Spektrum verschiedenste Meinungen vereinen möchte und sich nicht von einzelnen Abspalten möchte. Es ist in Reaktion auf die Kritik an der wiederholten Teilnahme von extrem Rechten und Verschwörungsideologischen Gruppen und Personen entstanden.
Es ist vorstellbar, dass dieses Narrativ jetzt nach Leipzig wieder vermehrt eingesetzt wird, damit die öffentlichen Kritik nach den Gewaltausbrüchen abgewendet werden kann. Wie bereits mehrmals zuvor (z.B. Teilnehmer:innen Zahlen bei der Berlin Demonstration am 01.08) wird eine alternative Erzählung der Ereignisse konstruiert, die meist Gegensätzlich zu der öffentlichen Berichterstattung steht.
Reaktionen von Passant:innen, kritisches Beäugen von Beobachtenden
Passant:innen reagierten teilweise mit Irritation und Widerspruch auf das Geschehen am Münsterplatz und der späteren Laufdemonstration mit rund 150 Teilnehmern, die zum Teil mit Kerzen im Nebel Aufmerksamkeit erregten.
„Ich habe keine Ahnung über was die da reden“
„Was ist das?“
Wir konnten beobachten, wie Beobachter:innen, die nicht zur Querdenken Versammlung gehörten, zuweilen bedrängt, fotografiert und abgefilmt wurden. Dies geschah unserem Eindruck nach mehr als auf früheren Veranstaltungen in Ulm.
Redebeitrag von Dr Daniel Langhans
Dr. Langhans beim halten seines Redebeitrages auf dem Münsterplatz[/caption]
Langhans Rede unterschied sich deutlich von den meisten anderen Beiträgen. Offensichtlich war er vorbereitet und hob sich als geübter Redner deutlich ab.
Zu Beginn beschriebt Langhans einen Erfahrungsbericht aus dem Landratsamt, wo Mitarbeitende in Tränen aufgelöst sind da nun Bundeswehrkräfte ihre Berufe übernehmen würden. Danach springt Langhans und ohne Aufbau folgt diese Aussage:
„Machen wir uns nichts vor. Es läuft hier ein globales Projekt. Und diejenigen die das umsetzen, sind die Ausführenden, um nicht zu sagen die Marionetten.“
Wie letzte Woche und in anderen Reden von Langhans wird hier wieder deutlich, dass er hinter Corona und den Maßnahmen eine Verschwörung sieht. Sie findet weltweit statt. Die Benutzung der Worte Marionetten und globales Projekt im Kontext einer angedeuteten Weltverschwörung von einer bestimmten, aber ungenannten, mächtigen Gruppe stufen wir als strukturell antisemitisch ein.
Direkt nach diesem Teil schwenkt Langhans zum Thema Datenschutz und kritisiert die Kontaktdatenaufnahme in der Gastronomie. Hierbei zitierte er den Datenschutzbeauftragten von Rheinland-Pfalz Dieter Kugelmann.
Bemerkenswert ist der bisherige Aufbau seiner Rede.
- Er beginnt mit einem emotionalen Erfahrungsbericht: die in Tränen aufgelöste und durch Bundeswehrkräfte ersetzte Mitarbeiterin
- Dann Baut er einen kurzen Satz ein, in dem Alles was Geschieht als weltweite Verschwörung dargestellt wird
- und schwenkt dann weiter zu einer niedrigschwelligen und einleuchtenden Aussage wie „auch in sogenannten Pandemie Zeiten gelte der Datenschutz“ und kritisiert die Kontaktaufnahme in der Gastronomie
Es geschieht hier ein schneller Wechsel von emotionaler Ansprache, Weltverschwörung, einer faktisch richtigen Aussage und Kritik an Maßnahmen. Es kommt zu einer Vermischung von völlig unterschiedlichen Aussagen durch das eng aneinander stellen. Sobald eine akzeptiert wird, ist es für Zuhörende niedrigschwelliger die nächste Aussage ebenso anzunehmen.
„… (die) Kontaktnachverfolgung, wir wissen wo das alles landen soll nämlich in einer europäischen Genom Datenbank. Hat hier jemand auf den Platz die europäische Genom-Datenbank aller Europäer beschlossen?“ [Nein]
„Dann stell ich hiermit fest, das wir, mit der Schaffung einer Europäischen Genom Datenbank, die von irgendeiner EU Top-Down EU Kommissionen über unsere Köpfe hinweg entschlossen worden ist, nicht einverstanden sind!“ [Applaus]
… Habt ihr das jetzt gehört da in Brüssel?“ [lachen]
Hier verfängt sich Langhans in einer Falschaussage. Ja, eine EU Genom Datenbank Initiative wurde Anfang des Jahres beschlossen. Und zwar zum Austausch von Erbinformationen mit dem Ziel präzisere Forschung zu ermöglichen. Das in der Erbgutforschung Kontakdatenbanken aus Gastronomie Bereichen eingesetzt werden ist jedoch höchst unwahrscheinlich. Im April wurde eine europäische Plattform für Forschungsdaten zu Covid-19 beschlossen, dabei geht es jedoch um Genetik, Mikroskopie und klinische Daten.
Die Rede endet in einer Reihe von energisch vorgetragenen Sätzen:
„…dass wir hier in totalitäre Strukturen überführt werden sollen. Aber das werden wir nicht mitmachen, oder? [Nein!] und deshalb wiederholen wir: Wir sind der Souverän! [Menge spricht nach] Und wir appellieren an die Siegermächte des zweiten Weltkrieges, weil wir alle wissen, dass Deutschland keine volle Souveränität hat, seitdem zweiten Weltkrieg. Wir appellieren an die Siegermächte mit uns, die der Souverän sind, einen Friedensvertrag auszuhandeln.“
Die Darstellung der BRD als nicht frei und nicht souverän sowie die These es gäbe seitdem zweiten Weltkrieg keinen Friedensvertrag, gehören zum Grundkonstrukt vom Reichsbürgertum.
Zusammengefasst beinhaltet Langhans Rede eine Mischung aus Kritik an Masken und Datenschutz, EU Kritik, einer weltweiten Verschwörung sowie klassischen Forderungen des Reichsbürgertums. Erst letzte Woche hielt Langhans einen Redebeitrag, den wir als Verschwörungsideologisch und strukturell antisemitisch einstufen. Dies wiederholte er diese Woche zusätzlich verbreitete er Falschaussagen über die EU Datenbank.
Fazit
Es ist erkennbar, dass es eine feste Gruppe an Teilnehmenden und der Organisation gibt. Viele Beiträge waren eher an das eigene Publikum gerichtet und sind kaum verständlich für Außenstehende gewesen, die sich nicht länger mit dem Querdenken Spektrum befasst haben. Der größte Teil ging um Erfahrungsberichte, spontane Meinungen und Maßnahmenkritik. Doch die Teilnehmer:innen stellten sich auch hinter einen Redner wie Langhans und sprachen im Chor seine Sprüche mit. Querdenken731 bot damit gestern wieder eine Plattform für Reichsbürgertum und Verschwörungsideologie.
Da Laufkundgebungen im Vergleich zu anderen Städten für Querdenken in Ulm durchführbar möglich sind, könnte dies dazu führen, dass überregionale Mobilisierungen nach Ulm stattfinden werden. Bisher gibt es verschwindend geringe kritische Berichterstattung oder öffentliche Reaktionen auf die Versammlungen aus der Ulmer Stadtgesellschaft.