Markus Mössle (AfD)

Vom bewaffneten Kampf in den Gemeinderat

Flugblatt von der „Kameradschaft Ulm“ mit V.i.S.d.P. Markus Mössle. Es ist mit ANS/NA- Logo versehen, diese gab es von 1977 bis zum Verbot 1983.  Abbildung in der vollständigen PDF zu finden [71]

Anfang April 2019 wurde regional und überregional über die Kandidatur von Markus Mössle für die Ulmer Gemeinderatswahl auf der Liste des AfD-Ortsverbandes berichtet. Mössle hat einen tiefgehenden extrem rechten Hintergrund aus den 1980er Jahren, den wir im folgenden Text erläutern wollen.

Historie

Der Werdegang von Mössle in der Neonaziszene der neunzehnachtziger Jahre ist anhand der verschiedenen Gruppen, in denen er aktiv war, gut nachzuvollziehen:

  • Bis 1983 war er in der Aktionsfront Nationaler Sozialisten/Nationale Aktivisten (kurz ANS NA), genauer gesagt beim Gau Baden-Württemberg/NA Kameradschaft 15 Ulm.[72]
  • 1983 war er Bundestagskandidat für die Nationaldemokratische Partei Deutschlands (NPD) im Wahlkreis Ulm.[73], [53]
  • 1984 war er Landtagskandidat für die Freiheitliche Deutsche Arbeiterpartei (FAP) im Wahlkreis Ehingen.[74], [54]

Die ANS wurde 1983 verboten, worauf die Mitglieder zur FAP wechselten. Ulm war der erste Ort mit einem FAP-Kreisverband außerhalb des Gründungsorts Stuttgart.[75] Die FAP wurde wiederum 1995 verboten, bei der NPD scheiterte bereits zweimal ein Verbotsversuch auf Bundesebene.

Berichte der taz in den neunzehnachtziger Jahren vermitteln einen Eindruck von dem, woran Mössle als Mitglied dieser Organisationen beteiligt war. Hier ein Beispiel: Am 25. Februar 1984 trafen sich 150 Neonazis in der Speyer Gaststätte Stadt Nürnberg. Sie reagierten auf Gegenproteste mit Hitlergrüßen, antisemitischen Beleidigungen und dem Singen des Horst-Wessel-Liedes. Weil Markus Mössle daran beteiligt war, wurde ein Verfahren gegen ihn eingeleitet.[74]

Ebenfalls für Aufsehen sorgte der Wahlkampf Mössles im Frühjahr 1984 für die FAP. Er nutzte Parolen wie „Rotfront verrecke“ oder „Ausländer raus“ bei seinen Auftritten am 21.02.1984 in Ulm[75] und Anfang März 1984 bei einem Marsch mit 40 Nazis, darunter auch der Neonazi Michael Kühnen, in Langenau.[72], [75], [76]

Kühnen war einer der bekanntesten Nazianführer der 1980er Jahre und gehörte zu den ersten, die sich nach dem Zweiten Weltkrieg offen positiv auf den Nationalsozialismus bezogen. Über Markus Mössle sagte er in seinem Mitteilungsblatt Neue Front: „Zum ersten Mal seit 1945 trat ein Nationalsozialist zur Landtagwahl an. Ein Nationalsozialist, der sich offen zu der Idee der Volksgemeinschaft, zu seinem Glauben an ein freies Großdeutschland und zu Adolf Hitler als Vorbild bekennt“.[76] Mössle fiel mit ebenso eindeutigen Aussagen auf, er äußerte sich zu den Vergasungen von Jüd:innen in den Konzentrationslagern folgendermaßen: „Völkermord ist immer in der Geschichte Begleiterscheinung von politischen Änderungen gewesen“.[75]

Überfälle

In den Jahren 1984 und 1985 beging Mössle Raubüberfälle auf drei Banken und einen Sexshop, bewaffnet war er mit einer Maschinenpistole. Bei den Überfällen wurden 100.000 DM erbeutet, davon ist ein Teil in den Kauf eines Bauernhauses in Rheinland-Pfalz geflossen, das auch als „Nationales Zentrum“ in Weidenthal unter der Führung des Nazi Ernst Tag bekannt wurde.[77] Mössle stellte ganz im Gegensatz dazu die Raubüberfälle anfangs als Versuch dar, persönlich an Geld zu kommen.[78] Tatsächlich können die Überfälle als sogenannte „Logistiktaten“ eingeordnet werden, wie sie auch andere Neonaziterrorist:innen u.a. der Nationalsozialistische Untergrund (NSU) durchgeführt haben. Durch Logistiktaten soll Geld sowohl für den eigenen Lebensunterhalt und den terroristischen „Kampf“ als auch für „die Bewegung“ beschafft werden.[79] Für seine Taten stand Mössle mehrmals vor Gericht. Am 30. April 1985 wurde er zu sechs Jahren und sechs Monaten Haft für einen Banküberfall verurteilt. Außerdem wurde er am 13. März 1987 für die weiteren drei Überfälle zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von neun Jahren und sechs Monaten verurteilt.[75]

Haft

Die Haftstrafe Mössles spielt bis heute eine große Rolle in seiner eigenen Darstellung. Er behauptet durch seine Verurteilung und Inhaftierung wäre er resozialisiert, ja sogar zur „Demokratie bekehrt“ worden.[80] Deswegen hätte er sich von der Neonaziszene getrennt. Wann genau dieser Bruch geschehen sein soll, lässt er jedoch offen. Bei einer genaueren Betrachtung fällt auf, dass Mössles Inszenierung als gelungenes Beispiel von Resozialisierung nicht so eindeutig ist, wie er sie gerne darstellt. Als erstes lässt sich feststellen, dass Mössle nicht sofort mit Haftantritt mit der Neonaziszene gebrochen hat. Er wurde von der extrem rechten Gefangenen-Hilfsorganisation Hilfsorganisation für nationale politische Gefangene und deren Angehörige e. V. (HNG) unterstützt. Sein Name taucht in der Ausgabe Nr. 69 im Januar 1986 der HNG-Zeitung auf.[81] Genauer gesagt in der Gefangenenliste, in der inhaftierte Neonazis mit ihrer jeweiligen Postanschrift für Briefkontakte aufgelistet wurden. Was Mössles Austritt zunächst glaubhaft erscheinen lässt, ist das er in einem Prozess 1988 gegen Ernst Tag aussagte und beide sich mehrfach im Gerichtssaal heftig stritten und bedrohten.[82] Ernst Tag war damals eine der bekanntesten Persönlichkeiten der deutschen Neonaziszene. Er wurde in Folge des Prozesses wegen Beihilfe zu einem Banküberfall, Hehlerei und Verstoß gegen das Waffengesetz zu fünf Jahren Haft verurteilt. Das Gericht sah es als erwiesen an, dass er Mössle bei den Überfällen unterstützte und unter anderem die eingesetzte Maschinenpistole dafür organisiert hat.[83] Dass Mössle gegen ihn aussagte, dürfte vermutlich vielen Kamerad:innen nicht gefallen haben. Seine Aussagen gegen Ernst Tag können also durchaus als Abkehr von der Neonaziszene gesehen werden. Sie können aber auch ganz ohne ideologischen Hintergrund und nur aus eigenem Interesse vorgenommen worden sein. Laut mehreren Medien und Aussagen von Mössle selbst, war er insgesamt sechs Jahre und vier Monate in der Jugendvollzugsanstalt Ravensburg inhaftiert.[80], [84] Das bedeutet, Mössle hat nur zwei Drittel seiner ursprünglich neuneinhalbjährigen Strafe abgesessen.

Vermutlich wurde die Dauer durch seine Kooperation und gute Führung stark beeinflusst. Was auch immer er heute behauptet, unserer Meinung nach liegt Folgendes nahe: Die Aussicht auf neuneinhalb Jahre Haft, als Mitte Zwanzigjähriger wird bei seiner Entscheidung präsenter gewesen sein als eine angebliche Bekehrung zur Demokratie oder ideologische Bedenken. Er hat sich also nicht für die Demokratie oder gegen die Naziszene entschieden, er hat sich dazu entschlossen so schnell wie möglich seine Freiheit wieder zu erlangen.

Aktivitäten in der AfD

Mössle war, als er sich für den Gemeinderat aufstellte, bereits mehrere Jahre in der AfD aktiv. Seit über drei Jahren, sagen AfD-Mitglieder, seit 2015 gibt die Stuttgarter Zeitung an.[80] Fotos, die uns vorliegen, zeigen Mössle seit mindestens 2017 bei Ständen der AfD in Ulm. Er war auch anwesend als am 27. Juli 2017 ein AfD-Mitglied in der Ulmer Innenstadt einem 17-jährigen zweimal in den Oberkörper trat.[85] Auch im Hintergrund war er aktiv und soll Flyer sowie Konzepte für Wahlkämpfe entworfen haben.[80] Außerdem schrieb Mössle Artikel in der Blauen Narzisse, einer Veröffentlichung des AfD Kreisverbandes Ulm/Alb-Donau, zum Beispiel in der Ausgabe von Dezember 2018. Daniel Rottmann, Mitglied des Landtag Baden-Württembergs, beschreibt Mössle als „immer fleißig“ und als Bespiel für „Rechtsstaatlichkeit und Rehabilitation“.[84] Mössle wurde im Frühjahr 2019 mit elf von zwölf Stimmen auf den ersten Platz der Ulmer AfD-Liste für den Gemeinderat gewählt.[80] Das sorgte für bundesweite Berichterstattung, in dessen Folge acht Personen von der Liste zurücktraten. Der AfD-Landesverband versuchte sich mit der Begründung zu distanzieren: Mössle sei kein Parteimitglied und es sei die alleinige Verantwortung des Ortsverbands Ulm. Trotz alledem schaffte es Markus Mössle als einziger der vier übrigen Kandidat:innen der AfD-Ulm-Liste in den Gemeinderat gewählt zu werden. Er erhielt dabei 8.734 einzelne Stimmen.[66] Wenn wir uns heute die Positionen und Meinungen von Markus Mössle als Gemeinderat und das Plakat aus seinen Naziaktivitäten der achtziger Jahre anschauen, sehen wir einige Überschneidungen und fragen uns: Wie sehr hat er sich wirklich verändert?

 

Quellen:

71] Antifaschistische Informations-, Dokumentations- und Archivstelle München e. V. (a.i.d.a.): https://www.aida-archiv.de/

[72] Artikel im Antifainfoblatt veröffentlicht am 26.04.1988: https://www.antifainfoblatt.de/artikel/hausdurchsuchungen-wegen-ansna-fortf%C3%BChrung

[73] Stadtarchiv Ulm, G 4 Stadtchronik 1983-1984: www.stadtarchiv-ulm.findbuch.net

[74] Artikel in der taz veröffentlicht am 18.03.1987: https://taz.de/!1869022/

[75] Georg Christians: „Die Reihen fest geschlossen: die FAP – zu Anatomie und Umfeld einer militant-neofaschistischen Partei in den 80er Jahren ”, Marburg 1990, S. 34-40.

[76] Kurt Faller/Heinz Siebold (Hrsg.): „Neofaschismus: Dulden? Verbieten? Ignorieren? Bekämpfen?; Antifaschistischens Arbeitsbuch“, Frankfurt am Main 1986, S. 21.

[77] Artikel in der taz veröffentlicht am 18.03.1987: https://taz.de/!1869022/

[78] Stadtarchiv Ulm, G 4 Stadtchronik 1985-1989: https://www.stadtarchiv-ulm.findbuch.net/php/main.php

[79] Artikel im Rechten Rand veröffentlicht in der Ausgabe 156 – September/Oktober 2016: https://www.der-rechte-rand.de/archive/3345/geld-widerstandsbewegung-nsu/

[80] Artikel der Stuttgarter Nachrichten veröffentlicht am 03.04.2019: https://www.stuttgarter-nachrichten.de/inhalt.wirbel-vor-der-kommunalwahl-ulmer-afd-kuert-vorbestraften-zur-nummer-eins.33f46f34-8b4c-4ec0-9fce-966e9c18d3bc.html

[81] HNG-Zeitung, Ausgabe Nr. 69 im Januar 1986. Eingesehen in dem Archiv des a.i.d.a. München

[82] Artikel in der taz veröffentlicht am 12.03.1988: https://taz.de/Archiv-Suche/!1852061s=M%C3%B6ssleSuchRahmen=Print/

[83] Artikel in der taz veröffentlicht am 16.03.1988: https://taz.de/Archiv-Suche/!1851856s=M%C3%B6ssleSuchRahmen=Print/

[84] Artikel der Schwäbische Zeitung veröffentlicht am 03.04.2019: https://www.schwaebische.de/landkreis/alb-donau-kreis/ulm_artikel,-ulmer-afd-zerlegt-sich-streit-ueber-nominierung-eines-ex-nazis-fuer-die-kommunalwahl-_arid,11032728.html

[85] Artikel der Beobachternews veröffentlicht am 10.05.2018: https://beobachternews.de/2018/05/10/wegen-koerperverletzung-vor-gericht/