Prozesse 2020

Im Jahr 2020 fanden mehrere Prozesse am Ulmer Amtsgericht zu extrem rechten Straftaten
statt. Darunter der extrem rechte Angriff im August 2019 vor dem Ulmer Bürgerhaus Mitte und
der antiziganistische Angriff im Mai 2019 in Dellmensingen.

Über beide Taten finden sich vielfach Artikel, Berichte und wissenschaftliche Arbeiten. Wir berich-
teten in unserer Chronik zum Jahr 2019 und während der laufenden Prozesse mehrfach darüber.

Aufgrund dieser bereits vorhandenen Berichte über beide Taten und ihre Prozesse haben wir uns
dazu entschieden, keinen weiteren Text zu verfassen sondern im folgenden Text ausschließlich
Zitate aus den beiden Gerichtsprozessen darzustellen.

Schaffnerstraßen Prozess

– Der folgende Text ist ein Ausschnit eines Berichtes der Leuchtlinie Baden-Württemberg, die den Prozess und die Betroffenen begleitet hat –

Am 03.08.2019, gegen 22:50 Uhr, wurde in Ulm eine Gruppe schwarzer Männer auf der Schaffner-
straße vor dem Bürgerhaus von einem Mann attackiert, der direkter Nachbar des Sozialzentrums
ist. Der Täter war bewaffnet mit zwei Schlagringen, einem Messer und einer CO2-Pistole und han-
delte aus rassistischen Motiven. Er schoss einen der Männer mit der CO2-Pistole an und verletzte
ihn dabei.

Der Vertreter der Hausverwaltung gab an, dass bereits seit Ende Juni 2019 nicht deutsch spre-
chende Gruppen im Haus durch den Angeklagten bedroht wurden. Er habe eingefordert von der
Hausmanagerin, dass die Gruppen sich dort nicht mehr zu treffen haben und habe gedroht, wenn
das nicht so geschieht, würde er mit seiner Rockergang vorbei kommen. Er sei eigenmächtig in
Gruppen gegangen und habe diese gestört. Eine Probe eines türkisch stämmigen Frauenchors
habe er aufgelöst, habe den Teilnehmerinnen gesagt, sie müssten nun alle gehen, und die Frau-
en seien so verängstigt gewesen, dass sie gingen. Bei deutschen Veranstaltungen und Gruppen
hatte er sich nie beschwert.

Anschließend wurden Polizist:innen befragt. Diese sagten u.a. aus, dass der Angeklagte 41 Waf-
fen in seiner Wohnung gelagert hatte, weitere Luftdruckpistolen und Monition, Messer, Macheten,
Schlagringe, Säbel, ein Tonfa, eine Saufeder. Außerdem wurden eine Reichskriegsflagge, ein NPD-
Wimpel, ein Pamphlet „Der Weg zum Reich“ und Rechts-Rock CDs gefunden. Außerdem kam zur
Sprache, dass der Angeklagte zum Tatzeitpunkt bei der Stadt Ulm als Bote beschäftigt war und
nach der Tat gekündigt wurde.

Eine Polizistin, die den Angeklagten am Abend der Tat in die Dienststelle brachte, erinnerte sich,
dass es während der Fahrt „nur so aus ihm herausgesprudelt“ sei: Ein Schimpfen über die Auslän-
der, dass „die“ alle in unser Land kämen, hier nicht arbeiteten, trotzdem alles geschenkt bekämen,
dass der Staat und die Stadt nichts dagegen unternähmen. „Er hat sich mehr oder weniger beru-
fen gefühlt diese Regeln selbst aufzustellen“, sagte die Beamtin.

Der Richter machte klar, dass das Motiv Rassismus war und verurteilte auch nach §46 StGB. Er
schloss eine Affekttat aus und sagte zu dem Angeklagten wörtlich:

„Sie sind ein Rassist.“

Dellmensinger Fackelwurf Prozess

Abbildung 15: Angeklagte im Fackelwurf-Prozess

Befragung des Angekagten Robin D. durch Richter K.

Richter K.: Sie wissen ja, dass man die Handys ausgewertet hat und sie wissen auch, was für Inhalte da drauf zu finden waren.

Robin D.: Ich möchte mich für das entschuldigen. Das war aus meiner Sicht einfach nur selten dumm, ja.

Richter K.: Wie ist Ihre Meinung über die Zeit in Deutschland 1933-1945?

(Gelächter im Publikum, dass zum großen Teil aus Angehörigen der Angeklagten besteht)

Robin D. Eine erschreckende Zeit.

Richter K.: Wie erklären Sie sich dann die Bilder von denen ich sprach?

Robin D.: Welche meinen Sie?

Richter K.: Es gibt Bilder und Dokumente, die auf eine andere Sicht schließen lassen als, dass es eine schreckliche Zeit gewesen sei.

Richter G. und K. blättern in Ordner. Im Saal wird die Abbildung 15,16,17 gezeigt. Essind mehrere Personen zu sehen mit einer schwarz weiß roten Fahne mit Reichsadler und der Aufschrift „Deutschland Deine Heimat“. Bei Abbildung 17 machen Drei von Vier Personen den Hitlergruß.

-Prozesstag 1, 11. Mai 2020

Chat Auszüge, Befragung des Angeklagten P. durch den Nebenklägeranwalt D.

Nebenklägeranwalt D.: Noch eine Nachfrage an Herr P.: Waren Sie Mitglied in der Whatsappgruppe . . .

P. : Kann sein.

Nebenklägeranwalt D.: Sie sind im Auswertungsbericht als Admin aufgeführt. Ich fragte vorhin nach „Kanacken vernichten“ und ich muss mich korrigieren. Das schreibt ein Maximilian über „Kanacken vernichten“İch hab gedacht, das waren sie. Aber sie waren
Mitglied in der Whatsappgruppe.

P.: Ich kann mich nich erinnern das gelesen zu haben, vielleicht wurde das geschrieben, als ich geschlafen habe

Nebenklägeranwalt D.: Auf Blatt 89, gleiche Whatsappgruppe, schreibt dieser Maximilian zu einer Verabredung: „Regel Nummer 1 in der Bude ist Kanackenverbot, also alle sind korrekt“

Herr P.: (will sich nicht äußern)

Nebenklägeranwalt D.: Dann gibt es die Chatgruppe „Fußball“ Blatt 102 und darin ein Dialog auf Blatt 100 zum 20. April 2019, Hitlers Geburtstag, wer alles rein feiert. Und da schreibt ein Mitglied mit dem Namen „Dom“: „und ich geh nachher auf Kanackenjagd“.
Und es antwortet ein „Leo“ „bitte warten, bin dabei“. Und ich bin überrascht, dass Sie in der Gruppe sind.

Herr P.: Ja, aber wir haben darin auch andere Sachen geschrieben, ganz normale . . .

-Prozesstag 1, 11. Mai 2020

Befragung eines Anwohners von Dellmensingen über Reaktionen im Dorf von Richter K.

Richter K.: Gabs andere Stimmen, die der Familie carlos ablehnend gegenüber gestanden sind?

Herr H.: Ja, die han gesagt „Was denkscht auch.“ Da hab ich gesagt, die Wies ist ab-
geräumt, ich hab keinen Schaden.

Richter K.: Ablehnend gemeint?

Herr H.: Beim einen so, beim anderen so.

Richter K.: Was hat überwogen, waren mehrere für oder gegen Ihre Entscheidung den
Platz zu vermieten?

Herr H: Der eine so, der andere anders. 60 Prozent waren dagegen und 40 Prozent haben gesagt: Das muss Du selber wissen was machsch.

-Prozesstag 2, 12. Mai 2020

Einschätzung des Nebenklageanwalt D.

„Ich bin dazu übergangen jedes mal, wenn hier einer vom Begriff Patriotismus schwätzt, hinzu zu setzen: Nazi.“

-Nebenklägeranwalt D., Prozesstag 7, 16. Juni 2020

Befragung eines Zeugens durch Richter L.

Richter L.: .. Sie sagten, „Sie sind alle schon sehr rechts eingestellt“: Wie kommen Sie zu „sehr rechts“?

Zeuge: Durch die Bilder, die Äußerungen, die gefallen sind, an die ich mich jetzt nicht wortwörtlich erinnern kann. Vielleicht auch durch mache Lieder, die gelaufen sind.

Richter L.: Was für Lieder?

Zeuge: Ach so, Deutschrock.

Richter L.: präzisieren, bitte

Zeuge: Landser. Ja, Landser. Ich kenn mich da nicht weiter aus.

-Aus einer Befragung eines Zeugen am Prozesstag 8, 22. Juni 2020

Aus einem Schreiben einer Schuldirektorin im Jahr 2015 über den Angeklagten Robin D.

Vorkommnisse: Robin hat die dunkelhäutige … „Neger, Baumwollpflücker, Latina Bitch“angesprochen.

Im Unterricht Nazi-verherrlichende Äußerungen und es wurden rechtsradikale Lieder angestimmt. Adolf Hitler wurde als Onkel Adi verharmlost, Judenwitze erzählt, mit Hitlergruß gestreckt; Zahlen werden in nationalsozialistischen Zusammenhang gebracht, Robin spricht davon einen neue NSDAP gründen und Juden vertreiben zu wollen.. . .

Robin zeigt ein Rechts- und Werteverständnis das nicht dem unserer demokratischen Gesellschaft entspricht.
-Vorgelesen am Prozesstag 10, 6. Juli 2020

Befragung des Szenekundiger Beamter S. zur Ulmer Fußball-Szene durch Nebenklageanwalt D.

Nebenklageanwalt D.: Es gab Zeugen die gesagt haben, dass die Ulmer Fanszene rechts sei.

Beamter S.: Ich kann keinen der hier Anwesenden in Zusammenhang bringen. Wir wissen das Teile der Hooliganszene bei AfD-Veranstaltungen waren. Da sind Demonstrationen am Münsterplatz, da werden Bilder gemacht und bei Twitter eingestellt und da sieht man Teile der Ulmer Hool-Szene, jüngst erst und ich krieg auch Bildmaterial von
Kollegen zur Kenntnis. Der war bei irgendeiner Demo oder AfD Veranstaltung. Aber um das hier klar zu stellen: im Stadion bleibt die Politik außen vor, da wird die politische Motivation nicht ausgelebt, generell. Es gibt keine Statements oder aus dem Gesang heraus, das bleibt komplett außen vor zumindest haben wir keinerlei Erkenntnisse

Nebenklageanwalt D.: Aber die Fanszene bei FC ST Pauli, da sagen Sie die politische Einstellung spielt eine Rolle?

Beamter S.: St Pauli sagt mir nichts, ich spreche nur von Ulm. Ich spreche generell immer nur von Ulm, von anderen Mannschaften kann ich keine Auskunft geben, aller höchstens zu Mannschaften gegen die der SSV Ulm spielt.

Nebenklageanwalt D.: Können wir das Foto nochmal auflegen? Also in den letzten 3 Jahren keine politisch motivierten Straftaten?

Beamter S.: Wir haben keine bearbeitet. und wir bearbeiten alle Straftaten in Zusammenhang mit dem SSV Ulm, bei Heimspielen.

Nebenklageanwalt D.: Alles was in Stadion passiert?

Beamter S.: Oder im unmittelbaren Zusammenhang mit einem Spiel, vor dem Spiel, während dem Spiel, nach dem Spiel. Also wenn die Fans sich in der Kneipe treffen, das Spiel ist um 15.00 Uhr zu Ende und die Straftat ist um 22.00, dann interessiert uns das nicht. Wir bearbeiten die Straftaten in Zusammenhang mit dem Spiel.

Nebenklageanwalt D.: Das heißt, dass es durchaus Straftaten geben kann?

Beamter S.: Ja, durchaus möglich.

Nebenklageanwalt D.: Haben Sie es mitbekommen? 2018 haben Fußballfans in einem Regionalexpress Ulm-Erbach zugeschlagen.

Beamter S.: Des isch uns bekannt, in Form eines Tätigkeitsbereichs übermittelt

Nebenklageanwalt D.: Warum sagen Sie es nicht?

Beamter S.: Weil es für mich nicht in Zusammenhang mit einem Spiel steht.

Nebenklageanwalt D.: Nicht lavieren! Das sind Leute die von einem Spiel kommen!

Beamter S.: Ich sehe das nicht so. Hat für mich keinen unmittelbaren Zusammenhang mit dem Spiel

-Aus der Befragung des Szenekundigen Beamten S. am 9. Prozesstag, 29. Juni 2020

Brief aus der VfR Aalen Fanszene an Robin D. während seiner Untersuchungshaft

Hallo Robin. Was treibst du eigentlich so den ganzen Tag? Was arbeitets du dort? Freut mich, dass Du dort nicht allein bist, welcher Ulmer ist das denn. . . gibt es keine Möglichkeit dass Ihr auf Kaution rauskommt. Der SSV hatte einen kleinen Aufschwung, genauso wie der VfR. . . der VfR 14 Punkte und Platz 11. . . nach dem Spiel beim SSV Frankfurt ist unser Busfahrer zufällig bei den Ultras vorbeigefahren, wir sind natürlich sofort raus. . . Polizei hat ordentlich Pfeffer verteilt …

Vor zwei Wochen war ich beim Derby Sparta Prag und Slavia Prag. . . Prag ist definitiv meine Lieblingsstadt. . . (erwähnt Auseinandersetzung zwischen den Fan Lagern im Rahmen des Derbys, schildert Verletzungen) . . . Schädelbasisbruch. . . ist eine ganz andere Welt im Osten. . . im Dezember spielt Sparta in Ostrava, sechs Stunden Zug-
fahrt. Zu diesem Spiel haben sie uns eingeladen, mitzukommen. . . die Freude übersteigt, wird definitiv eine wilde Auswärtsfahrt. …

Wir Classics haben beim Spiel Bahlingen ebenfalls ein Spruchband für euch gemacht. . . Ich hoffe du freust dich, hab ein Bild reingelegt, hoffe du bekommst es.

(Das dem Brief beigelegte Foto wird gezeigt. Zu sehen ist ein Spruchband in einem Stadion, ca 20 Meter Tapete, VfR Aalen Fanszene bei einem Spiel gegen Bahlingen. Inhalt grob: Grüße an die Inhaftierten)

Bis bald, Victor.

– Aus dem Haftbericht zu Robin D., verlesen an Prozesstag 10, 06.07.20

Aussage zu Chats von Angeklagten Dominik O., befragt durch Richter L.

Richter L.: Frage an Dominik O.. Blatt 8. Chatverkehr Leo B. und Dominik O.. Es geht inhaltlich, dass man sich ne Kölnfahne schnappen will. 20.51 Uhr völllig zusammenhanglos, Sie wollen ja ne Kölnfahne ziehen, und plötzlich schreiben Sie „Nein, aber Jude ist Jude“ Wie kommen Sie dazu?

Verteidiger M.: Zum Thema „Kölnfahne ziehen“ macht der Mandant keine Angaben.

Richter L.: Chat zwischen Maximilian F. und Ihnen, Blatt 3 des Auswerteberichts.

19.4.2019, 22.47 Uhr
Dominik: Hast Du Bengalos daheim?
Maximilian: Nee, warum?
Dominik: Adolf hat in einer Stunde Geburtstag.

20.4., 0.31 Uhr. Dominik schickt ein Bild: „Alles gute zum Geburtstag, Adolf.“

(Das Bild zeigt Adolf Hitler)

Wie kommt es dazu?

Dominik O.: Will ich mich nicht äußern.

-Prozesstag 11, 07. August 2020

 

Verlesung der Vorbestrafungen der Angeklagten:

Am 12.05.18 hielt sich der Angeklagte alkoholisiert auf der Donauwiese in Ulm mit einer Gruppe Freunden / Fans SSV Ulm auf, schwenkten Deutschlandfahnen. Das provozierte eine Gruppe Punks. Leo B. ging zur Gruppe und sprach (Zeuge) an. Leo B. meinte ein Messer zu sehen und entfernte sich . . . Auch Dominik O. erkannte vermeintlich
ein Messer bei (Zeuge) … aber anstatt Abstand zu wahren, verübte er gegen (Zeuge) einen Fußtritt ins Gesicht.

-Prozesstag 14, 07. September 2020

 

Plädoyer Nebenklageanwalt D.

An die Angeklagten: Die Menschen in den Wohnwagen hatten großes Glück. Meine Mandantin und ihr kleines Kind hatten großes Glück. Ist Ihnen eigentlich klar dass auch Sie großes Glück hatten? Sie sind keine Mörder geworden und müssen nicht damit leben, dass Sie Schuld sind ein kleines Kind auf dem Gewissen zu haben. Ist Ihnen eigentlich klar, was Sie den Menschen angetan haben? Die Todesangst und die Panik
die Sie ausgelöst haben?

Ist Ihnen klar, was Sie Ihren Vätern, Müttern und Geschwistern angetan haben? Ich habe nicht das Gefühl, dass Ihnen bewusst ist was da los ist. Das Gequatsche vom „Patriot“ oder das Gerede von „rechtsoffen“. Mit Ausnahme von Herrn P. haben Sie nichts gelernt, ihr denken ist neonazistisch rassistisch, antiziganistisch und antisemitisch.

-Prozesstag 15, 16. September 2020

 

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Weitere empfehlenswerte Berichte zum Dellmensinger Fackelwurf Prozess finden sich hier:

  • NSU Watch Podcast „NSU-Watch: Aufklären Einmischen 64.“
  • Artikel „Antiziganismus im Ländle: Bericht aus dem laufenden Prozessam Landgericht Ulm“ in der Leipziger Autoritarismus Studie 2020, Seite 353-378

Quellen:

Abbildung 15: https://kollektiv26.blackblogs.org/

Auszüge aus dem Prozessbericht zum Schaffnerstraßen Prozess von Leuchtlinie e.V. aufrufbar hier: https://www.leuchtlinie.de/leuchtlinie/aktuelles/2020/bericht-zum-gerichtsverfahren-am-15052020-vor-dem-amtsgericht-in-ulm

Die Zitate zum sogenannten Fackelwurf Prozess stammen aus unveröffentlichten Protokollen
des Journalisten Robert Andreasch, der den gesamten Prozess begleitete. Der Wortlaut kann vom gesprochenen Wort in der Verhandlung abweichen.