Im Jahr 2021 fand eine Zunahme an antisemitischen Äußerungen, Aktionen und Angriffen statt. Zeitlich stehen viele davon in Zusammenhang mit der Eskalation und der gewaltvollen Auseinandersetzung zwischen dem israelischen Militär und palästinensischen Gruppen, wie der islamistischen Hamas und dem Islamischen Dschihad. Aufgrund des erneuten Aufflammens im Nahost-Konflikt kam es weltweit sowohl zu pro-palästinensischen als auch pro-israelischen Demonstrationen. Mit der Zunahme von Protesten stiegen auch die antisemitischen Vorfälle an. Diese Entwicklung war auch lokal anhand mehrerer Ereignisse deutlich nachvollziehbar. So wurde in Ulm wiederholt die jüdische Gemeinde das Ziel von Aktionen und eines Brandanschlags:
- Im Mai 2021 wurden vor der Synagoge zwei Schilder auf englisch aufgestellt. Auf einem stand „Freies Palästina – Stoppt das Töten Unschuldiger“, auf dem anderen war eine israelische Fahne mit dem Satz „Vergesst Eure eigene Geschichte nicht“ abgebildet. [1]
- Ende Mai 2021 – Shneur Trebnik, Rabbiner der Ulmer Gemeinde, berichtete in der Lokalpresse [2] von einer spürbaren Zunahme an Beschimpfungen in der Öffentlichkeit.
- Am 05.06.2021 wurde auf die Synagoge ein Brandanschlag verübt. Laut Angaben der Polizei, handelt es sich bei dem Täter um Serkan P. Es wurde öffentlich nach ihm gefahndet [3] gefahndet, Serkan P. setzte sich in die Türkei ab. Bemerkenswert ist das Facebookprofil von Serkan P.: Die Stuttgarter Zeitung berichtete über türkisch-nationalistische Posts [4] wie u.a. das zelebrieren der osmanischen Eroberung Konstantionopels. Außerdem teilte Serkan P. Posts des Bloggers Bilgilis Üretmens, der als Sprachrohr der türkischen AKP und Szenegröße [5] der extrem rechten „Grauen Wölfe“ in Deutschland gilt. Wir fanden in seinem Profil mehrere Kontakte, die offen Symbolik der „Grauen Wölfe“ nutzten. Insofern liegt die Vermutung nahe, dass der zweifelslos antisemitische Brandanschlag, möglicherweise auch ein rechtsmotivierter Angriff war.
Codierter, Geschichtsrevisionistischer und verschwörerischer Antisemitismus
Von der breiten Ulmer Öffentlichkeit vergleichsweise weniger wahrgenommen, wurde der codierte, geschichtsrevisionistische und verschwörerische Antisemitismus, der vor allem bei extrem rechten Gruppen in Ulm und im Querdenkenspektrum anzufinden ist. Diese Formen des Antisemitismus beziehen sich nicht direkt auf Jüd:innen, sondern nutzen stellvertretend einzelne Personen (z.B. George Soros), eine ominöse mächtige Gruppe (z.B. die Rotschilds oder die „Bilderberger-Konferenz“) oder verharmlosen den Holocaust mit geschichtsvergessenen Vergleichen. Oft beziehen sie sich auf den „Deep State“, den „Great Reset“ oder die „New World Order / Neue Weltordnung“. Gemeinsam haben all diese Erzählungen, dass sie die gleiche zentrale Botschaft teilen: Die Welt wird beherrscht von einer alles kontrollierenden „Elite“, von „Globalisten“ oder einer „geheimen Macht“. Wichtig für codierten und verschwörerischen Antisemitismus ist immer der Kontext. Die Worte an sich haben nicht zwangsweise eine antise- mitische Aufladung. Er funktioniert nach einem „Wir wissen ja alle, wen ich meine“-Prinzip. Eingeweihte oder „aufgewachte“ Personen verstünden die Codes und Anspielungen. Der codierte Antisemitismus bleibt wage, um eben nicht eindeutig erkennbar zu sein. Deutlich ausführlichere Erklärungen zu diesen Formen des Antisemitismus sind nachlesbar bei Organisationen wie RIAS (Recherche- und Informationsstelle Antisemitismus) [6] , der Forschungsgruppe CeMAS [7,8] und der Amadeu Antonio Stiftung . Eine Kurzübersicht zu Verschwörungsmythen [9] findet sich auf der Webseite von „Das Versteckspiel“ .
Beispiele für Ulm und Umgebung
Im lokalen und regionalen Querdenken-Spektrum gibt es seit Beginn der Proteste im Mai 2020 geschichtsrevisionistischen und codierten Antisemitismus. Immer wieder ist das in Stickern, Reden, Posts, Videos, Plakaten mit geschichtsrevisionistischen Vergleichen mit der nationalsozialistischen Diktatur und ihrer Verbrechen zu sehen. U.a. am 27.03.2021 auf einer Demonstration von Klardenken Schwaben in Ulm, bei dem eine teilnehmende Person einen gelben Sternen mit der Aufschrift „Ungeimpft“auf einer FFP2 Maske trug. Auch in den diversen lokalen Telegramkanälen lassen sich immer wieder Beispiele finden.
Am 21.05.2021 verklebten zwei Personen mehrere hundert Sticker des III. Weg und von EinProzent e.V. in Ulm, darunter waren antisemitische Sticker, die auch in unmittelbarer Nähe der Ulmer Synagoge angebracht wurden.
Quellen:
[1] https://twitter.com/Report_Antisem/status/1392572125911867393
[8] https://www.amadeu-antonio-stiftung.de/w/files/pdfs/verschwoerungen-internet.pdf
[9] https://dasversteckspiel.de/die-symbolwelt/verschwoerungsmythen-332.html