Am gestrigen Montag, dem 16.11.20, fanden zum dritten mal in Folge Versammlungen aus dem Querdenken-731-Spektrum statt. An einer Kundgebung am Landratsamt Neu-Ulm nahmen circa 20 Personen teil. Bei einem Stopp des sogenannten Corona-Info-Busses auf dem Münsterplatz kamen mehrere hundert Personen, an einem Autokorso durch die Innenstadt Ulms beteiligten sich um die 100 Fahrzeuge.
Umgang der Behörden und interne Organisation
Wir schätzen die Teilnehmenden auf etwa 200 bis 300 Personen, aufgrund der großen Fläche des Münsterplatzes ist dies allerdings nur eine grobe Schätzung aus unserer Erfahrung.
Auf Nachfrage vor Ort, bestätigten Polizist:innen, dass die Auflagen der Versammlung nicht eingehalten werden und kündigten an dagegen vorzugehen. Es war allerdings kein Eingreifen oder Ansprache jeglicher Art sichtbar, nur ein kurzes Abfilmen der Veranstaltung war zu beobachten.
Auffällig war, dass sowohl der Info-Bus als auch der Autokorso sehr kurzfristig angemeldet wurden. Wir sehen darin eine gezielte Strategie. Es ist unwahrscheinlich, dass dies alles innerhalb von 24h organisiert wurde, wahrscheinlich gab es vorab Planungen.
Unsere Vermutung: Die kurze Ankündigungszeit dient dazu Druck auf Ordnungsämter auszuüben, mediale Aufmerksamkeit zu erreichen und organisierte Gegenproteste zu verhindern.
Im Vergleich zum Frühjahr findet kaum mehr öffentliche Kommunikation in den lokalen Telegramkanälen oder Facebookgruppen statt. Es liegt nah, dass aufgrund bundesweiter kritischer Berichterstattung über unterschiedlichste Äußerungen in Telegramgruppen ein strategischer Umstieg auf geschlossene Kommunikation vorgenommen wurde. In Ulm wurden in Telegramgruppen wie den Corona Rebellen verschiedenste Verschwörungsideologien wie Q-Anon und offener Antisemitismus verbreitet, wir berichteten darüber im Mai.
Markus Haintz ist bis heute Mitglied der Corona Rebellen Ulm/Neu-Ulm Telegramgruppe und bewarb dort bis zum Sommer selbst Querdenken-Kundgebungen.
Inhalte der Reden
Bei der Kundgebung auf dem Münsterplatz sprachen Ludwig Erhard, Bodo Schiffmann, Wolfgang Greulich, Samuel Eckert und Markus Haintz.
Die Inhalte waren überschaubar und repetitiv. Zentrale Botschaften waren:
Keine Spaltung, gemeinsames Ziel ist das Abschaffen aller Maßnahmen
Laut der SWP äußerte Wolfgang Greulich Vergleiche zum Nationalsozialismus, Leugnung der Pandemie und weitere fragwürdige Behauptungen:
„Das ist beinahe schlimmer als das, was man uns vor 75 Jahren erzählt hat. Aber die Masse des Volkes liegt im Dornröschenschlaf.“
„Lügen- und Betrugskampagne“ (gemeint ist die Pandemie)
„Merkel, Spahn und Drosten mit der Krise ein Vermögen verdienen, während wir alle symptomlos krank sind“
Markus Haintz, der am vergangenen Samstag in Frankfurt wiederholt von sich gab die aktuelle Situation sei eine faschistische Diktatur, rief in Ulm wieder mal die Polizei zur Befehlsverweigerung auf. Präsentiert wurden auch alternative Narrative zur Demonstration am 07.11.20 in Leipzig:
„In Leipzig hätte es nicht besser laufen können.“
In Leipzig beteiligten sich mehrere hundert extrem Rechte, über 30 Journalist:innen wurden verletzt. Mehr dazu hier.
Haintz behauptete außerdem, dass der Staat in Leipzig und an anderen Orten einen Austausch zwischen Querdenken und Gegenprotesten verhinderte, da der Staat davor Angst hätte, wenn sich beide Seiten austauschen würden. Eine mehr als fragwürdige Aussage, wenn man an Szenen aus Leipzig denkt, auf denen zu sehen ist wie aus der Querdenken-Versammlung heraus Gegenprotest beschimpft und beworfen wurde.
Bodo Schiffmann, der wochenlang Falschmeldungen über angeblich wegen des Maskentragens verstorbene Kinder verbreitete, verharmloste in Ulm Corona:
„Corona ist eine der am wenigsten tödlichen Erkrankungen weltweit“
Dieser Aussage stehen den laut WHO Angaben weltweit 55 Millionen erkrankten und 1,3 Millionen verstorbenen Menschen innerhalb von 9 Monaten gegenüber.
Sichtbare christliche Prägung
An mehreren Stellen war das religiös christliche Weltbild von einigen Köpfen der Querdenken-Bewegung zu bemerken. So ruft Schiffmann zu einem gemeinsamen Gebet auf und Samuel Eckert endete mit den Worten:
„bleibt im Vertrauen auf Gott und ich wünsche euch Gottes Segen. Vielen Dank Ulm.“
Auf der Kundgebung wurden Bücher von Ellen White verteilt, einer Begründerin der Sieben-Tage-Adventist:innen, einer Freikirche, die von ausgestiegenen Mitgliedern als stark manipulativ beschrieben wird.
Das und weitere Beispiele zeigen wie in Ulm und bundesweit verschiedenste christliche Strömungen in den Querdenken-Protesten involviert sind. Weitere Beispiele:
- Es zeigt sich am Sieben-Tages-Adventist Samuel Eckert, von dem sich Freikirche der Siebenten-Tags-Adventisten mittlerweile distanziert
- An Dr. Daniel Langhans, der auf einer Vielzahl von Querdenken-Kundgebungen eine Mischung aus katholischen Schöpfungsglauben und Verschwörungsideologie von sich gibt
- oder an einem Medienmacher des Querdenken-Spektrums OCG Sekten Mitglied Matthäuse Westfal, bekannt als „Aktivist Mann“
Mediale Berichterstattung
Die Schwäbische Zeitung berichtete über den anschließenden Autokorso und bezeichnete diesen als „zähe Blechlawine von Renitenten Asphalt-Cowboys“.
Außerdem gibt es Berichte der Südwestpresse, des Südwestrundfunks, der Augsburger Zeitung und von Ulm-News. Regio TV filmte die Kundgebung und interviewte mehrere Person u.a. Markus Haintz.
Zu weiteren Inhalten der Reden und Ereignisse in Ulm gestern empfehlen wir an dieser Stelle mehrere Threads von @LizyInDerBlase , @PiruZaran oder @Antischwurbel
Fazit
Die Veranstaltung war im Vergleich zu den vorherigen im November in Ulm größer und gemäßigter in ihren Inhalten, auch wenn an mehreren Stellen Falschmeldungen und einschlägige Narrative zu hören waren. Das Spektrum der Teilnehmenden war unserem Eindruck nach breit und bürgerlich geprägt. Von Teilnehmenden mit „Klardenken Schwaben“-Buttons, Personen mit Friedensfahnen bis Familien mit Kindern.
Die Gefahr von Querdenken liegt weiterhin darin, dass zunächst in Teilen begründete und nachvollziehbare Kritik an Corona-Maßnahmen geäußert wird und so Menschen mit ihren Ängsten und ihrem Ärger angesprochen werden sollen. Unterhalb dieser Oberfläche wimmelt es aber nur so von unterschiedlichsten Verschwörungserzählungen, die einen Nährboden für Radikalisierung bieten.
Eine Abgrenzung davon wird nicht stattfinden, Haintz machte dies in seinem Redebeitrag deutlich. Alle Personen und Gruppen werden akzeptiert, die das gemeinsame Ziel teilen: Abschaffung aller Maßnahmen.
Meinungsfreiheit wird innerhalb dieses Spektrums oft selektiv ausgelegt. Auf der einen Seite wird jede noch so wissenschaftsfeindliche Aussage, geschichtsrevisionistischer Vergleich und gefährliche Verschwörungsideologie als freie Meinung verteidigt. Auf der anderen Seite nimmt das Ansprechen und Bedrängen von kritischer Öffentlichkeit zu. Mehrere Personen, von privaten Beobachter:innen bis Journalist:innen berichteten uns über entsprechende Vorkomnisse gestern in Ulm. Haintz bat sein Publikum zwar auf der Bühne freundlicher mit der Presse umzugehen, es ist aber zweifelhaft, ob sich daran alle halten werden.
Laut Ankündigungen von Querdenken 731 sollen Autokorsos nun regelmäßig stattfinden. Ob sich das Bewahrheitet bleibt abzuwarten, klar ist jedoch die Proteste werden weiter gehen.